„Blindflug“ nach Instrumenten

Die Deutsche Luft Hansa (ab 1.1.1934 in Lufthansa geändert) beschäftigte sich schon ab 1927 sehr intensiv mit der Einführung eines planmäßigen Luftverkehrs. Eine wichtige Voraussetzung bestand in der Schaffung der Möglichkeit, die Flüge auch bei schlechtem Wetter, d.h. ohne Bodensicht, durchzuführen zu können. Unter „Instrumentenflug“ wurde ein Flug ohne Sicht verstanden, bei dem das Flugzeug mit Hilfe der Bordgeräte in einem normalen und gewünschten Flugzustand gehalten wurde. Kam aber dazu noch die Strecken- und Anflugnavigation, die meist hohe Anforderungen an das räumliche Vorstellen, das räumliche Denken und das Rechnen stellte, bezeichnete man als Blindflug“. Entsprechend dieser Definition wird an dieser Stelle lediglich die Entwicklung des „Instrumentenflugs“ beschrieben. Eine gute Einführung zu diesem Thema ist die Schilderung in einer Firmenschrift der Lufthansa anlässlich ihres 60 jährigen Bestehens :

„……. der große Sprung

In Staaken, auf dem Gelände der Lufthansa-Werft, stand eine Junkers W 33. Der Sitz des zweiten Flugzeugführers war bei ihr mit einer Art Verschlag zugebaut. Der Aufbau hatte kleine Fenster, die mit Gardinen verschlossen wurden; So wurde auf primitive Weise Nacht und Nebel simuliert. Der Lehrer sass im Freien. Der Übergang von der „Fliegerei der Parterre-Akrobaten“ zum Blindflug und das heisst zum Instrumentenflug, vollzog sich bei der Lufthansa seit 1927. Willy Polte, einer der Lufthansa-Lehrer, sagte damals über diesen grossen Sprung: „Die Erlernung des Instrumentenflugs ist mindestens ebenso schwierig wie die des Fliegens überhaupt“. Die Gründe (laut Polte): Der Flugzeugführer hat beim Flug ohne Sicht kein Gefühl für die Lage der Maschine: er muss mehrere Instrumente (Wendezeiger, Höhenmesser, Geschwindigkeitsmesser, Kompass) gleichzeitig beobachten und muss anhand eingehender Wetterberichte die Fluglage überdenken. „Das ablesen der Instrumente und das Umsetzen in die dazugehörenden Steuerbewegungen müssen also im Unterbewusstsein getan werden; dazu ist grosse Übung nötig, da die Instrumente heute noch gewisse Fehler und Eigenheiten besitzen“. Was 1927 noch freiwillig war, wurde im Winter 1929/30 zur Lehrpflicht.

 

Anzeigen des Wendezeigers in verschiedenen Flugzuständen

Wenn man die Schilderung der damaligen Blindflugschulung von erfahrenen Flugzeugführern liest, kann man die nervliche Beanspruchung beim Instrumentenflug nur erahnen. So schreibt Rudolf Braunburg aus der Frühzeit des Instrumentenfliegens – Mit dem Wendezeiger durch die Wolken :

„……. Für die praktische Blindflugausbildung versammelte sich damals die erste Blindfluggruppe auf dem Werftflugplatz Berlin-Staaken und wartete auf die Trainingsmaschine. Es war eine Junkers W 33. Sie hatte Doppelsteuerung und doppelte Instrumentierung. Die Gruppe erhielt sofort eine praktische Anschauung von der Leistungsfähigkeit des neuen Systems: in dreihundert Meter lag eine geschlossene Wolkendecke über Staaken, irgendwo, mittendrin, hing die zur Landung ansetzende W 33. Konnte ein seelenloses Instrument das fliegerische Gefühl ersetzen? Seitlich abschmierend? Oder vielleicht in Rückenlage? Sie lag wunderbar auf Kurs. Sie setzte sanft auf, wie bei strahlendem Sonnenschein. Nur der Blindflugschüler neben dem Fluglehrer Hucke sah nicht normal aus. Mit hochrotem Kopf und völlig durcheinander, kletterte er klitschnass aus dem Cockpit….“

Eine Focke Wulf Fw 190 beim Landeanflug (schlechte Sicht auf die Landebahn)

Ein Blindflugschüler beschreibt seine Einweisung – hinter zugezogener Cockpitscheibe – so: „In Zweihundert Meter Höhe überließ Hucke mir das Steuer, und sofort begannen die Instrumente einen wilden Tanz aufzuführen. Von jenseits des Vorhangs, wie aus einer anderen Welt, kam eine beruhigende Stimme: Zeiger in Mittelstellung, Kugel nicht weglaufen lassen, auf Geschwindigkeit achten, Höhe halten. Es war verteufelt schwer , mit nur zwei Augen allen Instrumenten nahezu gleichzeitig die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zu schenken und ihre Anzeigen aufeinander abzustimmen. Es war ein aufregender Kampf mit dem wankelmütigen Zeiger und der unbändigen Kugel, die keine Sekunde daran dachte, dem Zauberlehrling zu gehorchen.“ Wenn der Instrumentenfluglehrer den Vorhang vorübergehend öffnete, sah der Zögling nichts als Grau in Grau. Es gab kein oben und kein unten. Er flog, Sensation für damals, wirklich nur noch nach Instrumenten: Zeiger und Kugel in der Mitte, Fahrtmesser beachten, Höhe und Kurs halten. Der erste Schritt zur Überwindung des Nebels war getan. Als weiteres Instrument kam ein Variometer hinzu. natürlich gab es damals noch keinen künstlichen Horizont……“

Anzeigen des Wendehorizontes in verschiedenen Flugzuständen

Die Einheits-Blindflugtafel der Luftwaffe

Fl.22000-1

Während des 2.Weltkrieges wurden die Entwicklungen von Instrumenten für den Blindflug nach den Forderungen der Luftwaffe (RLM) ausgerichtet. So wurde auch eine einheitliche Anordnung der Instrumente erarbeitet:

Entsprechend der Wichtigkeit der Anzeigeinstrumente für die Erhaltung der Fluglage mussten sie mehr oder weniger in der Nähe der Hauptblickrichtung angeordnet werden. Aus dem Bild der „Einheits-Blindfluggerätetafel“, Ende 1943, ist zu erkennen, das den Kreiselgeräten zur Überwachung des Flugzustandes eine überragende Bedeutung zukam. Zwecks Gewichtsersparniss, wurde die „Einheits-Blindfluggerätetafel“ bereits auf der Rückseite ausgenommen. Vorläufer der heutigen Leichtbauweise im Flugzeugbau. Die Blindflugtafel hat man gefedert im ganzen Gerätebrett eingebaut um die empfindlichen Flugüberwachungsgeräte zusätzlich gegen Erschütterungen zu schützen. Die Tafel wurde aus mehrlagigem verleimten Sperrholz gefertigt mit einer Dicke von 8 mm.

Einheits-Blindfluggerätetafel der Luftwaffe, ab 1943, mit (in der oberen Reihe) Fahrtmesser, Wendehorizont, Variometer und (in der unteren Reihe) Fein- Grobhöhenmesser, Führertochterkompass, Kreuzzeiger (AFN 2) für Landebakenanflug.

Die Zuordnung der Instrumente zu den Flugzeugsteuer- und Flugzeugbewegungen ist in folgender Tabelle dargestellt:

 

Bewegung um die erzeugt durch angezeigt durch
Hochachse Seitenruder Kompass

Wendezeiger

Kurskreisel

Querachse Höhenruder Horizontkreisel

Variometer

Fahrtmesser

Höhenmesser

Längsachse Querruder Libelle

Horizontkreisel

 

 

Das Transozean-Flugzeug „Bremen“

Am 12. Mai 1928 startete eine speziell um- und ausgerüstete W 33 (Werknummer 2504; Kennung D-1167) auf dem westirischen Flugplatz Baldonell und landete nach rund 36 Stunden zwischen Labrador und Neufundland auf der Insel Greenly Island. Das war der fluggeschichtlich erste Nonstop-Atlantiküberflug in der Ost-West-Richtung. Am 19. Oktober 1928 erhob sich eine W 33 in Berlin-Tempelhof und flog in mehreren Etappen sowie der reinen Flugzeit von 90 Stunden über rund 14250 km bis zur japanischen Hauptstadt Tokio. Dieses Baumuster überzeugte außerdem durch mehrere Flugweltrekorde.

Die „Bremen“ vor dem Start in Baldonnel.

Gerätebrett

Die beschädigte „Bremen“ nach der Landung in Greenly Island.

Im Instrumentenbrett der „Bremen“ wurden zwei Geschwindigkeitsmesser und zwei Askania-Wendezeiger eingebaut – doppelt für den Fall eines Versagens. Ein Grob- und ein Feinhöhenmesser waren weitere Bordgeräte. Dazu kam eine Reihe von Motorüberwachungs- instrumenten. Als Navigationsgeräte waren zwei Glockenkompasse neben dem Führer- und dem Beobachtersitz und ein Luftfernkompaß eingebaut. Auf diese Weise war es Köhl auf dem Transozeanflug möglich, während der Nacht und beim Flug durch die Nebelbänke an der kanadischen Küste das Flugzeug sicher im Blindflug zu beherrschen. Die „Bremen“ wurde auf Wunsch der Besatzung nicht mit Geräten zur Höhenwinkelmessung ausgerüstet, um das Restgewicht möglichst niedrig zu halten. Aus dem gleichen Grunde wurde auf ein Funkgerät verzichtet.

Blindflugtafel Junkers Ju 87

Blindflugtafel Messerschmitt Me 163