Navigationstafel der Bachem Natter BP 20 A-1
(Baureihe A-1)
Bemerkung:
Liebe Leser,
Fast kein anderes Flugzeugbaumuster der Luftwaffe veranlasste in den letzten Jahren solche Spekulationen über die Instrumentierung und deren Gerätebestückung im Führerraumbereich wie das hier folgende Bachem Projekt BP 20 „Natter“. Gründe dafür sind natürlich viele, die fehlende Informationen und Bilder aus der Zeit sind nur ein Beispiel dazu. Heute ist es immer noch schwer die verschiedenen Entwicklungen von dazumal auseinander zuhalten und zu differenzieren.
Die damaligen Zulieferfirmen (Siemens LWG-Askania usw.) die neue Steuruerungsysteme entwickeln mussten, insbesondere für einen Senkrechtstart wie bei der Bachem Natter mit dem Walter HWK 109-509 A-0 (Werk. Nr. 51 bis 65) oder A-2 Triebwerk (Werk. Nr. 26-30,35-?) mit 1.500 kp Schub eine grosse Herausforderung !
Auch die enormen „G“ Kräfte unter der grossen Anfangsbeschleunigung der Natter stellten die Entwickler bestimmter Navigationsgeräte sowie Steuerungsgeräte mit Bestimmtheit unter grosse Probleme. Die Geräte mussten ja all diese Kräfte aushalten und diesen anspruchsvollen Bedingungen dennoch für den Flugzeugführer Bedien- und Ablesbar sein.
Dennoch wollen wir im folgenden Cockpitbericht versuchen anhand der Stücklisten und den original Planzeichnungen zu der Natter versuchen unter Berücksichtigung der damaligen Zeit (Lieferengpässe, Erprobungsstatium) versuchen die Instrumentierung und Geräte der „Natter“ A-1 so genau wie Möglich wiederzugeben. Wir freuen uns Ihnen hier etwas bieten zu können, das Sie so in dieser Form wohl noch nie gesehen haben und wir Ihnen hier Exklusiv presentieren können!
Viel Spass beim durchlesen…..
Mit diesem Bericht erhebe ich keinesfalls den Anspruch auf dessen Vollständigkeit und Korrektheit. Gründe dafür sind die Unvollständigkeit der vorhandenen Originalunterlagen zu diesem Bachem-Projekt BP 20 „Natter“ ! Dieses Flugzeugbaumusters sowie die fehlenden Informationen zu einzelnen Bereichen im Führerraum Massen zu einigen Vermutungen an, insbesondere, da sich diese Maschine Ende 44 in der Erprobung befand. Dennoch hat mich die Faszination dieses Flugzeugtypus dazu bewogen, an die „Cockpitbeschreibung“ zur „Bachen Natter“ zu gehen.
Ich möchte daher alle Leser dazu aufrufen, mich in meinen Bemühungen den Bericht zu vervollständigen, zu korrigieren oder zu ergänzen, sich bei mir zu melden? – Besten Dank!
Bild-Quelle: Discovery Channel Natter-Versuchsmusters M 24 (Lehrfilm Bachem Natter Werkstatt)
Allgemeine Übersicht:
Da es von der Natter BP 20 viele verschiedene Versuchsmuster gab, ist es oft schwierig, das genaue Baumuster, anhand verschiedener Belegfotos oder Stücklisten zu bestimmen. Oft wurden die diversen Baumuster immer wieder geändert und durch Verbesserungen der Entwicklungen „umgebaut“. Diese Entwicklung ist heute gut ersichtlich an den wenigen bekannten „Gerätelisten“ sowie „elektr. Gerätelisten“, die wir weiter unten folgend wiedergeben werden.
Wir haben uns bei der Cockpitbeschreibung der Natter A-1 an die „Stückliste 8-BP 20.64“ aus dem Jahre 1945, sowie an die Plan-Zeichnung „Navigationstafel 8-BP 20, 920-1001“ gehalten.
Dieser Cockpitbericht über das Natter A-1 Baumuster, ist mit gewissen Ausnahmen, nicht identisch mit dem Foto aus dem historischen „Discovery Channel Film“ (Bild 1), der in einer Werkstatt gefilmt wurde. Wo wichtige Gemeinsamkeiten zu finden sein sollten, wird in diesem Bericht darauf hingewiesen, ansonsten halten wir uns an die oben erwähnten „Stücklisten und Zeichnungen“ dieses Beitrages.
Die A-1 Version dieses Baumusters hat, eine von dem Vorlagenfoto aus dem „Discovery Channel Film“ Natter-Versuchsmusters M 24 (Bild 1), abweichende Geräteausrüstung im Führerraum!
Bild 2: Original Zeichnung der Navigationstafel 8-BP 20, 920-1001 – Bachem Natter BP 20
(Bildquelle: USA)
Die Navigationstafel (Hauptgerätetafel)
Für die Platzierung der “ Navigationstafel“ oder „Hauptgerätetafel“ war den Erbauer der Natter wohl nicht viel Spielraum gegeben. Eine nüchterne Bauform mit gerademal 5 Geräten sollte für den Zweck der Natter genügen.
Die Gerätetafel selber ist wie in vielen späten Baumustern der Luftwaffe aus mehrfach geleimten 8 mm Sperrholz in schlichter Form gefertigt. Die Geräte sind durch die geringen Ausmasse der Gerätetafel 315 x 215 mm in einer doppelten Reihe untereinander angeordnet. In der oberen Reihe sind die Flugüberwachungsgeräte und in der unteren Reihe die Triebwerks-Überwachungsgeräte angebracht.
Die Navigationstafel ist in der Farbe „RLM Grau 02“ gespritzt.
Auffallend ist, das kein Variometer zum Einbau kam, das die vertikale Sink- und Steigrate anzeigen konnte wie zBs. das Variometer Fl.22385 +/- 0-150 m/s vom Hersteller : Dr.Th.Horn / Lizenzbau Balda-Werke-Dresden. Dieses Spezialvariometer wurde ausschliesslich für die enorme Steigleistung der Raketenjäger Me 163 gebaut. Dieses Variometer hätte auch bei der Natter Verwendung finden können?
Es gab 1945 aber bereits Variometer mit einer Skala von +/- 0-250 m/s ( Variometer), die eventuell in späteren Baumuster der Natter vorgesehen wären, was aber nur eine Spekulation unsererseits ist. Wir haben dafür keine Beweise zur Hand.
Da die Natter sowieso mit Dauerhöchtleistung geflogen ist und eine Landung nicht vorgesehen war, konnte man wohl getrost auf ein Variometer verzichten.
Auch eine Vorratsanzeige sucht man in der Natter vergebens, hier galt wohl ebenso die Devise volle Kraft bis zum bitteren Ende, ein zweiter Angriffs-Anflug war in der Nattertaktik ja nicht vorgesehen.
Grafik 1: Abmessung der Navigationstafel
In der Regel sind Gerätetafeln die extremen Erschütterungen während des Einsatzes ausgesetzt sind mit „Dämpfern“ an die Gerätebretthalterungen im Führerraum eingebaut. Jedoch können wir hier bei der Natter keine solchen Vorkehrungen ausmachen. Diesbezüglich ist auf unseren vorhandenen Unterlagen und Stücklisten nichts zu erkennen. Üblicherweise wurden zur Dämpfung der empfindlichen Navigationsgeräte, an den Gerätebrettern „Gummipuffer“ verwendet, um die schädlichen Vibrationen der Flugzeugzelle zu den Geräten zu vermindern. Auch die Befestigung der Tafel selbst (Bild 3) scheint nur sehr dürftig ausgefallen zu sein?
Bild 3: Die dürftige Befestigung der Navigationstafel
Geräte in der Navigationstafel:
Hinweis: Man sieht auf dem historischen Foto Bild 1 auch den Dreh- oder Druckknopf am Horizontkreisel oder Anzeige für den Horizontkreisel, der mit der Arretierung in der eingedrückten Stellung gehalten werden sollte.
1 =
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Fein- und Grobhöhenmesser Fl.22326 (M5*)
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0 – 16000 m
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2 =
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Umgebaute Form eines Fernkurskreisel Lku 4 zum „Horizontkreisel oder Anzeige für den Horizontkreisel“. Einkreiselhorizont? |
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3 =
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Fahrtmesser Fl.22241 (M4)
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0 – 1000 km/h
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4 =
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Drehzahlanzeiger Fl.20265 (M2)
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0 – 120 %
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5 & 6 =
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Druckmesser für Ofendruck Fl 20521 (M6)
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0-6 kg/cm²
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Druckmesser für Ofendruck Fl 20521 (M6)
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0-25 kg/cm²
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||
7 = |
Arretierung
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M* = elektr. Zeichen (Schaltplan)
(Die haben tatsächlich Stromkreis-Kennzeichen für alle Geräte in der Liste vergeben. Das kann aber nicht stimmen; wahrscheinlich ist zu dem Zeitpunkt auch alles drunter)
Hinweis dazu von Harald Melchner:
„Zu den Stromkreiskennzeichen bin ich mittlerweile der Meinung, dass man hier einfach alle Geräte, ob elektrisch oder nicht, in der Liste zu den Funktionsgruppen (Buchstaben) zugeordnet hat und die bekannten Funktionssbuchstaben aus den Schaltplänen einfach auf die nicht elektrischen Geräte mit übernommen hat. Diese sog. „Betriebsmittelkennzeichnung“ ist durchaus heute noch in der Prozess- und Automatisierungstechnik üblich. Dadurch muss man nicht zusätzliche Positionsnummern in den Listen mitführen und kann die Geräte eindeutig zuordnen. Mir war aber bisher so ein Beispiel aus der damaligen Flugzeugtechnik nicht bekannt. Ich hatte aber bereits vor einiger Zeit bemerkt, dass wohl bei den späten Messerschmitt-Gerätelisten die Positionsnummern durch die elektrischen Kennzeichen ersetzt wurden, allerdings nur, wenn es sich um elektrische Geräte handelte. Hier hat man wohl lediglich den Prozess konsequent weitergedacht.“
Die Positionen
„Keine Nummer vergeben“ – für das angebaute Sichtgerät !
Für die Gerätetafel ist ein „Sichtgerät“ aufgeführt, noch ohne jegliche Fl-Nummer und Bezeichnung! Das bestätigt wohl, dass das Gerät noch im Prototypenstadium war.
Hinweis: Unten folgend der Ausschnitt aus der Geräteliste mit dem Sichtgerät (L3) und dem dazugehörigen Stecker Fl.32642 (L4). Es war der gleiche, der auch beim Lku 4 Verwendung fand.
Der Einbauort wird eindeutig als „Navi-Gerätebrett“ genannt. Die genaue Position der Anbringung sowie dessen Befestigung ist uns allerdings nicht bekannt!
1. Fein- und Grobhöhenmesser
– Fl.22326
– Messbereich: 0 – 16 km
Bemerkung: An der Ausschnittform des Loches kann man eindeutig erkennen, dass der o.g. Höhenmesser zum Einsatz kommen sollte. Das Gerät wurde von der Firma Scholz ab ca. Mitte 1944 gefertigt, und hatte den extrem grossen Messbereich bis zu 16 km Höhe. Auch in der Heinkel He 162, Horten Ho 229 und der Tank Ta 152 kam dieser Höhenmesser zum Einbau. Das Gerät hat eine quadratische Frontoptik, ein Zweizeigermesswerk einfachster Bauart und war für Druckkabinen geeignet.
2. Horizontkreisel oder Anzeige für den Horizontkreisel ?
– ein speziell für die Natter entwickelter Umbau aus dem Kurskreisel Lku 4 ! zum „Horizontkreisel oder Anzeige für den Horizontkreisel“
Bemerkung: In den Eltr. Geräteausrüstung Plan Nr. 8-BP 20.920 wird die automatische Kurssteuerung Bm. „K-12“ von Siemens (LGW) aufgeführt ! Leider ist nur in einer Geräteliste vom 12.03.1945 (Eg 8-BP 20.00-20) erwähnt um welchen Kurskreisel es sich im Falle der Natter handeln sollte, nämlich den Lku 4 Fl.22561? Der Einbauort ist hier nicht die Gerätetafel selbst gewesen laut Liste, sondern die Steuereinheit.
Die Masse des Lku 4 Fl.22561 selbst würden nur in das Navigationsgerätebrett passen, wenn man diesen „Quer“ zu seiner eigenen Achse einbauen würde ? Dies macht wohl kaum Sinn! Also kam folglich ein speziell für die Natter entwickelter Umbau aus dem Kurskreisel Lku 4 zum Einbau wie in dem Bild von Discovery Channel Natter-Versuchsmusters M 24 ! Namentlich vermutlich ein „Horizontkreisel oder Anzeige für den Horizontkreisel“ der aber zu dieser Zeit noch in der Entwicklung oder Erprobung war.
Mal spekulativ:
Wenn die Natter eine Kurssteuerung hatte, die ihm die Flugrichtung vorgab. Könnte der Horizontkreisel vielleicht auch noch die Funktion einer Art Zielfluganzeige gehabt haben?
Fernkurskreisel LKu4 und der Hinweis auf den Einbau bei der Steuereinheit!
Zur automatischen Kurssteuerung sind in den Listen zusätzlich erwähnt 1 Kippschalter Typ 35 (K1), 1 Steuerknopf (K2) mit Rudermaschine (Backbord) (K21) LRM 12, 1 Rudermaschine (Steuerbord) (K17) LRM 12 und eine Rudermaschine (Kurs) (K19) LRM 12 (bei Spant 15/16). Dazu ein Dämpfungskreiselblock LDK 1/3 (bei Spant Nr.8) und ein Wiederstandskasten LKW 12.
Die Automatische Kurssteuerung hatte folgende Aufgaben zu erfüllen:
1. Entlastung des Flugzeugführers bei Anflügen auf den Zielkurs
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2. Genauere Kurshaltung als durch Handsteuerung.
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3. Genauerer Zielflug für grobe Angriffsrichtung
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Gedanke dazu von Oliver Jordan Berlin:
„Ob es nun Sinn macht oder nicht, mit dem Fernkurskreisel? Vielleicht sollte der Fernkurskreisel samt Anlage den simplen Führerkompass (z.B.FK 38 Fl.23233) ersetzen? Ich denke mal, dass es mit einem Magnetkompass Probleme gegeben hätte in der Natter. Nicht wegen der Holzbauweise, sondern wegen der Rakten und Abschussroste (aus Stahl/Eisen) direkt vor dem Gerätebrett. Ansonsten würde ja nichts dagegen sprechen, einen FK 38 einzubauen, ausser, das dieser bei sehr steilen Starts nur schlecht abgelesen werden kann. Ja und wegen der Fluglage hätte ich persönlich 2 „billige Neigungsmesser“ (gebogen mit Flüssigkeit und Stahlkugel, wie im Horizont, Wendezeiger) eingebaut. Daran kann man auf alle Fälle auch erkennen, in welcher Lage sich die Natter befindet. Ja und was spricht denn eigentlich gegen den Notwendezieger mit Batteriebetrieb (Fl.22413-1 / Fl.22414-1)? Klein, leicht, unkompliziert und billig.“
Man kann also erkennen, dass vermutlich doch alles noch recht improvisiert war. Auch auf den vorhandenen Gerätelisten kann man ersehen, dass immer wieder einige Positionen von Hand gestrichen und ebenso von Hand wieder mit Ersatzgeräten ergänzt wurden! Es ist auch anzumerken, das im offiziellen „Bericht 7“ der K-12 Kurssteuerung von LWG eine Vielzahl von Geräten vorgesehen sind, die niemals in der kleinen Natter Platz gefunden hätten.
Hinweise zu einer geplanten LGW-Steuerung finden sich in Horst Lommels Buch „Das bemannte Geschoss Ba 349 Natter“ (VDM-Verlag, erschienen 2000)
Zu Position Nr.7 weiter unten gehen wir noch auf die komplizierte „Arretierung“ ein die direkt neben dem Fernkurskreisel eingebaut ist !
3. Fahrtmesser mit Höhenausgleich
–Fl.22241
– Messbereich : 100 – 1.000 km/h
– Hersteller : R. Fuess
Diese Fahrtenmesser hatten konstruktionsbedingt zwei Zeigern, und verfügten über eine spezielle Höhenkompensierung. Der erste Zeiger zeigte die Geschwindigkeit von 100- 400 km/h an, der zweite die Geschwindigkeit von 400- 1.000 km/h an. Die Belastungsgrenze wurde zBs. für die Me 163 B wurde auf 900 km/h festgelegt, was bei der Natter ähnlich gewesen sein könnte, da die gleichen Triebwerke zum Einsatz kamen.
4. elektrischer Drehzahlanzeiger
– Fl.20265
– Messbereich : 20 -120 U/min in %
– Hersteller : Dr.Th.Horn
Der Drehzahlanzeiger zeigte die Turbinendrehzahl der Gas-Turbine an, welche für die Beförderung des Raketentreibstoffes zum Raketentriebwerk zuständig war. Der Zeiger sollte die Optimalmarke von 100 % (oft mit weiss-rot-weiss am Gerätegehäuse markiert) normalerweise nicht überschreiten. Das Triebwerk selbst besteht aus der Förderanlage, dem Regler und der Brennkammer. Zum Start setzte man durch einen Schalter einen Elektromotor in Gang, der eine kleine Gasturbine antrieb, und eine kleine Menge T-Stoff in den Dampferzeuger leitete. Nach Abschalten des Elektromotors wurde die Turbine durch den Dampferzeuger angetrieben und pumpte nun T-Stoff und C-Stoff aus den Tanks in die Regleranlage.
5. und 6. 2 Einfachdruckmesser
– Fl.20521
-Messbereiche: 0-6 kg/cm² = Turbinendruckmesser
0-25 kg/cm² = Ofendruckmesser
Beide Ofen- und Turbinendruckmesser, Fl.20521 (0-25 kg/cm² und 0-6 kg/cm²), gelten als Einheit und haben deshalb auch nur eine Fl-Nummer. Die Ofendruckmesser waren sehr wichtig für den Startvorgang, sowie zur Kontrolle eines konstanten „Ofendruckes“ in der Brennkammer und der Dampfturbine. Die Stichflamme in der Brennkammer sollte einen konstanten Druck von ca. 24 atü aufweisen. Der Grenzbereiche wurden auch hier vom Bordwart mit der „weiss-rot-weissen Markierung“ auf dem Gerät gekennzeichnet. Auf dem Beispielbild oben ist gut zu erkennen, dass die beiden Druckmesser von vorne an das Gerätebrett eingebaut wurden und nicht wie bei der Messerschmitt Me 163 von hinten.
7. Arretierung
Bemerkung: Diese spezielle für die Natter gebaute Arretierung soll anscheinend den Zweck haben den Einstellknopf des Kurs- oder Fernkurskreisels in der „eingedrückten Stellung“ zu fixieren. Somit die Kurssteuerung ausgeschaltet ist während des Startvorganges. Über die eigentliche Funktion der Arretierung lässt sich nur spekulieren und ist anhand dieser Pläne mehr schwer erklärbar. Insbesondere der hintere Teil der Vorrichtung (Punkte 5 & 6) die auf den Zeichnung hinter der Navigationstafel zu erkennen sind, stellen uns neue Fragen zu diesem Bauteil.
Wurde diese Anlage mit der Schalterbetätigung vielleicht sogar Lothar Siebel beim ersten bemannten Raketenstart zum Verhängniss ? Anstelle des vermuteten abgerissenen Kabienendaches ? Hat sich der fixierte Schalter (Arretierung) vielleicht beim Start durch die grossen „G-Kräfte“ und die Vibrationen gelöst und so eine ungewollte Steuerung zur Folge gehabt, die dann zum orientierungslosen Flug durch die Wolkendecke führte ? Oder war die automatische Kurssteuerung generell ein Problem, um die kleine schnelle Natter auf Kurs zu halten unter Extrembedingungen?
Hinweis von Harald Melchner:
Liebe Leser,
hier mein Diskussionsbeitrag zur Natter und deren Ausrüstung:
Um die Ausrüstung der Natter verstehen zu können, muss man sich erst einmal das Einsatzspektrum genauer ansehen:
1. Die Natter war als Verlustgerät gedacht. Wieder verwendbar waren lediglich (neben dem Piloten natürlich ) das wertvolle Triebwerk und die nicht minder kostbare Kurssteuerung nebst Funkausrüstung, welche sich im Heck der Maschine befanden. Die komplette Bugsektion mit Waffenrost und Instrumentenbrett wurde jedes Mal zerstört. Das implementiert beinahe von selbst, dass dieser Teil so kostengünstig wie möglich gestaltet wurde, was auch die Instrumentierung betraf.
2. Der Flug der Maschine sollte im Einsatzfall fast komplett automatisch ablaufen. Der Kurs sollte von der Bodenleitstelle nach Funkmessdaten (ähnlich wie bei der Flak) vorgegeben werden. Nachdem der Startbefehl erteilt wurde, startete der Pilot das Triebwerk, regelte es auf vollen Schub, nahm die Hände an die beiden Haltegriffe im Cockpit und zündete dann die Startraketen. Erst bei erreichen einer bestimmten Höhe und Entfernung hinter dem Ziel, schaltete der Pilot die Automatik aus, flog den Angriff von hinten unten, leitete danach den Absetzsturz ein, fing die Maschine bei einer bestimmten Sicherheitshöhe ab und leitete dann die Trennung ein. Dieser automatisierte Flug erforderte natürlich eine automatische Kurssteuerung über alle Ruder.
Um die Materialverluste also in Grenzen zu halten, wurden nur die zwingend nötigen Instrumente eingebaut.
Der Fahrtmesser war nötig, um zum einen den ordnungsgemäßen Aufstiegsflug zu überwachen (flacherer Winkel = Geschwindigkeitserhöhung) und zum anderen, um die richtige Geschwindigkeit für den Trennvorgang zu fliegen. Der Höhenmesser war nötig, um zum einen die richtige Höhe zu kontrollieren, um die Automatik auszuschalten und zu anderen, um die Sicherheitshöhe für den Trennvorgang zu erreichen. Der Drehzahlmesser und die Ofendruckmesser waren nötig, damit der Pilot das Triebwerk auch sicher auf Vollschub bringen konnte und danach die ordnungsgemäße Funktion überwachen konnte. Auf ein Variometer konnte man in diesem Fall verzichten, da es keine neuen Erkenntnisse über den Flug geliefert hätte. Zur Kontrolle des ordnungsgemäßen Aufstiegs reiche auch der Fahrtmesser. Bleibt noch die Überwachung der Fluglage: Ein Wendezeiger hätte zwar funktioniert, jedoch überwacht er nur Bewegungen um die Hochachse und bedingt um die Längachse (Libelle). Die Natter bewegte sich aber sozusagen im dreidimensionalen Raum, also reichte das nicht aus. Ein Wendehorizont war besser, jedoch hier nicht geeignet, da die damals existierenden Geräte allesamt bei Abweichungen von mehr als 90° von der Normalfluglage ihren Dienst quittierten. Also musste wohl ein neues Gerät geschaffen werden, welches dem Piloten möglichst anschaulich die Kurstreue der Maschine signalisierte. Diese Überlegung führte dann wohl zu dem Kreiselgerät mit den zwei Balken, welches mit der Kurssteuerung verbunden war.
Nun noch ein paar Sätze zum Unglücksflug von Lothar Sieber:
Der offizielle Unfallbericht vertritt zwar die Ansicht, dass das abfallende Kabinendach den Piloten bewusstlos machte oder gar tötete, jedoch wenn man sich die Faktenlage genauer betrachtet, kann das so nicht ganz stimmen. Vermutlich wurden die wahren Hintergründe geflissentlich vertuscht, um das Projekt nicht zu gefährden oder zu verzögern. Ein nicht gut verriegelnes Kabinendach war schnell zu korrigieren und ein getöteter Pilot erklärt ganz bequem den Rest des Unfallverlaufes. Wären jedoch ernsthafte Konstruktionsmängel ans Licht gekommen, hätte die Sache schon anders ausgeschaut. Die SS hatte ja das Sagen in diesem Projekt übernommen und versuchte es um jeden Preis voranzubringen.
Wer die beiden Bücher von Horst Lommel über die Natter gelesen hat, wird mir Recht geben, dass der tatsächliche Verlauf wohl etwas anders war. Zunächst ist wichtig zu wissen, dass Sieber auf eine Handsteuerung der Maschine bestand; die Automatik also zu keinem Zeitpunkt im Spiel war. Wodurch ein Versagen dieser auch ausscheidet. Auch spricht einiges dafür, dass Sieber wohl während des ganzen Fluges bei Bewusstsein war. Oder hat schon jemand einen bewusstlosen Piloten kontrollierte Steuerbewegungen ausführen sehen, was nachweislich geschehen ist?
Mann muss auch wissen, dass Sieber nicht irgendein x-beliebiger Freiwilliger war, sondern sich bereits einen gewissen Ruf als Pilot für schwierige Einsätze erflogen hatte. Er war es z.B. der den total überladenen Storch mit Mussolini an Bord vom Grand Sasso startete. Auch muss man wissen, dass der gesamte Unfallflug, von Start bis Aufschlag nur etwas weniger als eine Minute dauerte; es blieb also nicht viel Zeit für irgendwelche Überlegungen des Piloten. Nach Auswertung der spärlichen noch existierenden Fakten und der Augen- und Ohrenzeugen, verlief das ganze wohl so oder ähnlich:
Es begann damit, dass eine der Hilfsraketen nicht abfiel, was eindeutig durch das Auffinden dieser im Aufschlagtrichter bewiesen ist. Danach versuchte Sieber wohl die Rakete abzuschütteln, da er deutliche Wackelbewegungen ausführte. Als das nicht gelang, bekam er wohl die Anweisung, den Flug abzubrechen, wozu er die Kabinenhaube bewusst abwarf. Er bemerkte aber dann wohl, dass die Maschine noch einwandfrei zu steuern war und setzte den Flug fort. Die damals sehr tief hängende geschlossene Wolkenuntergrenze war dann wohl der Auslöser für den Unfall. Nachdem er die Maschine in einen sehr steilen Aufstiegswinkel in Rückenlage brachte (ähnlich wie das auch heute noch das Spaceshuttle macht), verschwand er in den Wolken. Dort muss er offensichtlich einen Geschwindigkeitsanstieg bemerkt haben, was er durch ziehen ausgleichen wollte. Da er sich aber im Rückenflug befand, bemerkte er seinen Fehler wohl erst, als er fast senkrecht nach unten aus den Wolken wieder herauskam. So kurz über dem Boden und mit einer Geschwindigkeit nahe Mach 1 oder evtl. sogar darüber (Beobachter berichteten danach von 2 Detonationen, eine deutlich vor dem Aufschlag), konnte er die Maschine nicht mehr abfangen und versuchte evtl. sogar noch auszusteigen, was der Fund der abgetrennten Gliedmassen einer Körperseite wohl zu vermuten Anlass gibt. Das gelang ihm aber natürlich nicht mehr und so schlug er fast senkrecht ein paar Kilometer von der Startrampe entfernt auf. Wäre ein solcher Unfallverlauf damals publik geworden, hätte das sicherlich zu extrem unangenehmen Fragen geführt und ziemlich sicher zu einer kompletten Überarbeitung einiger Baugruppen Anlass gegeben.
Ja – hier kann sicher wieder viel spekuliert werden.. Aber diese kleine spezielle Bauform dieser Arretierung hatte sicher einen wichtigen bestimmten Zweck, während der spektakulären Flugphase der Bachem Natter!
Für Hinweise sind wir Dankbar – Kontakt
Bild 3: Schalterbetätigung
(Bildquelle: USA)
Weitere Einbauten im Führerraum
Das Schaltgerätebrett:
Das Schaltgerätebrett ist auf der linken Bordwandseite gut erreichbar auf halber Höhe neben dem Führersitz eingebaut.
Am Schaltgerätebrett mit der Grösse 69 x 105 mm sind die Sammler ( 2 x Fl 34254 12 V und 1 x Fl 34256 24 V) zur Bordnetzsicherung Energieversorgung eingebaut sowie der elektr. Kippumschalter Typ 35 (oder Selbstschalter 19-5002 H) (K1) zum Ein- und Ausschalten der automatischen Kurssteuerung. Die Frontplatte die aus 5 mm Sperrholz gefertigt und mit RLM-grau gespritzt ist enthält auch eine weisse Merkleuchte zur Kontrolle der Elektr. Anlage.
Bedienhebel Triebwerksteuerung mit Start-Knopf
Das Triebwerksgestänge besteht aus einem Bedienhebel mit Lagerung und dessen Umlenkhebel auf einem Lagerbock und dem dazugehörenden Startknopf (Anlasser) B-Knopf XI (T6) Fl 50911. Auf dem Elt. u. Geräte-Ausrüstungsplan (8-BP 20920 Bl.2) auf Position VII zu erkennen!
Visiereinrichtung
Eine einfache Zieleinrichtung ober- und ausserhalb des Führerraums diente zur groben Zielvorgabe der Föhnraketen. Die Zielvorrichtung besteht aus einem Kugelkorn, Kornträger und dem Fadenkreuz mit einem äusseren und inneren Ring von 70 und 30 mm Durchmesser. Der Viserträger selbst besteht aus einem Rundstab und einer dazugehörenden Grundplatte.
Hierzu nochmals erwähnt das Sichtgerät…..
Dazu auch unten folgend der Ausschnitt aus der Geräteliste mit dem Sichtgerät (L3) und dem dazugehörigen Stecker Fl.32642 (L4). Es war der gleiche, der auch beim Lku 4 Verwendung fand.
Der Einbauort wird eindeutig als „Navi-Gerätebrett“ genannt. Die genaue Position der Anbringung sowie dessen Befestigung ist uns allerdings nicht bekannt!
Rettungs- und Sicherheitsgeräte der Natter
Fallschirm für den Flugzeugführer und eine Panzerplatte (740 x 15 mm) in der Front der Natter. Für grosse Höhen ein Höhenatmer HAS 16.
Hilfsgeräte
Die 4 Starthilferaketen werden mit einem „B“ Knopf (Fl 50911von List) ausgelöst. Dieser befindet sich links (Position XI) an der Bordwand neben dem Flugzeugführer.
Schusswaffen
Die Auslösung der 24 R Föhn Raketen (R.Spr.Gr.7,3) erfolgte elektrisch durch den „Föhnschalter“ der sich vermutlich auch links an der Bordwand neben dem Flugzeugführer befindet. Können wir aber nicht genau aus den uns vorhandenen Listen und Zeichnungen der Natter erkennen! Hierzu sind wir Dankbar für Hinweise zur Waffenauslösung der Föhnraketen?
Zeichnung Nr 1 Schusswaffen Föhneinbau Natter
(Bildquelle: USA)
Nachbemerkung:
Mit diesem Bericht erhebe ich keinesfalls den Anspruch auf dessen Vollständigkeit und Korrektheit – also alles ohne Gewähr.
Ich möchte daher alle Leser dazu aufrufen, mich in meinen Bemühungen den Bericht zu vervollständigen, zu korrigieren oder zu ergänzen, sich bei mir zu melden? – Besten Dank!
Zürich, den 06. Mai 2011
Wiedmer Erwin